Sonntag, 17. November 2013

Kurzgeschichte: "Regen, Sturm und Dunkelheit"


Wenn Blicke Bände sprachen, sagte sein Blick alles. Die Augen gebannt auf den dunklen Haarschopf, wenige Meter vor ihm gerichtet, entging ihm keine Bewegung, kein Lächeln, kein Wort, das sie sagte. Ihre Stimme wehte durch die Menschenmenge zu ihm herüber, wie die bunten Blätter draußen über den kargen, grau gepflasterten Boden der Einkaufsstraße.
Wenn Blicke töten könnten, wäre der schmierige Verkäufer, dessen penetrantes Rasierwasser er trotz Entfernung riechen konnte, just in diesem Moment hinter der Theke umgefallen.
Unbewusst straffte er die Schultern, hob das Kinn und blickte über die Nasenspitze hinweg, aus seinen, zu Schlitzen verengten, stahlblauen Augen, auf den Mann im schlecht sitzenden Anzug.
Der Verkäufer sah es genau. Gut so.
„Vielen Dank“, hörte er sie nun sagen. „Schönen Tag noch!“
Dann drehte sie sich um und kam lächelnd auf ihn zu. Ein verschmitzter Blick in die Tüte, die sie in Händen hielt, gefolgt von einem sichtlich zufriedenen Grinsen, das ihre Züge erhellte. Und seine auch.
Sie freute sich wie ein kleines Kind über den karierten Schal, den sie gerade erstanden hatte und war sich nicht gewahr, welcher Machtkampf soeben, über ihre Schultern hinweg, ausgefochten worden war. Sie schien nicht einmal bemerkt zu haben, dass dieser glattgegeelte Herr mit dem pseudo-vornehmen Gehabe mehr als nur freundlich gewesen war.
Worüber sollte er sich jetzt mehr freuen? Über ihr glückliches Gesichtchen oder über die Tatsache, dass sie andere Männer, allem Anschein nach, nicht im Geringsten wahrnahm?
„Der ist wirklich hübsch“, sagte sie freudig und schloss die Tüte wieder. „Ja, wirklich hübsch“, entgegnete er etwas abwesend und legte seinen Arm um ihre Schultern; eine Geste die schlicht besitzergreifend war. Ein letzter, vielsagender Blick auf seinen erklärten Widersacher, bevor er zusammen mit ihr das Geschäft verließ.
Manchmal musste er sich selbst fragen, warum er auf diese Art reagierte, obgleich er ganz genau wusste, dass sie, vor allem anderen, eine treue Seele war. Vielleicht, weil er sich doch insgeheim fragte, ob sie so naiv war, dass sie es nicht merkte, wenn man mit ihr flirtete, oder ob es sie tatsächlich nicht interessierte.
Sie liefen einige Zeit an der Straße entlang, zu dem Parkplatz, auf dem sein Wagen stand.
Welke Blätter fielen von den Bäumen, tanzten einen Augenblick im Wind, ehe sie zu ihren Füßen liegen blieben. Finstere Wolkenberge türmten sich drohend über ihren Köpfen auf. Die Temperaturen schienen mit jeder Minute weiter zu sinken.
„Wir sollten uns beeilen“, sagte er mit einem Blick in den Himmel.
„Wieso?“, wollte sie wissen, woraufhin er sich zu ihr hinunter beugte und ihr mit dunkler, betont düsterer Stimme zuflüsterte:
„Gleich kommt Regen und Sturm... und Dunkelheit“
Er wusste um den Schauer, den das Gefühl seines Atems auf ihrer Haut, durch ihren Körper jagte. Er wusste auch, dass sie seinen unüberhörbaren, niederländischen Akzent liebte, selbst wenn seine Art sich auszudrücken zuweilen etwas unglücklich war.
Sie lächelte. „Ja, wir sollten uns beeilen“, stimmte sie zu und hauchte einen Kuss auf seine Wange.
„Mir ist auch ziemlich kalt. Ich möchte auf die Couch und unter eine Decke“
„Mit mir?“, hakte er mit einem Augenzwinkern nach. Es lag eine Doppeldeutigkeit in seinen Worten, die kaum zu überhören war und doch nur zu verschleiern versuchte, wie sehr es ihn, gerade jetzt, nach ihrer Bestätigung verlangte.
„Ja, mit dir“, erlöste sie ihn schließlich, fügte jedoch im selben Atemzug hinzu:
„Mit wem denn sonst, du eifersüchtiges Mannsbild?!“
Seine Augen weiteten sich schlagartig. Das hatte er nicht kommen sehen.
Er öffnete den Mund und schloss ihn genauso wortlos wieder. Was hätte er auch fragen oder sagen sollen? Es gab nichts, was man dem hätte hinzufügen können.
Ein kurzes, raues Lachen entkam seien Lippen und er schüttelte ungläubig den Kopf. Ungläubig über sich selbst. Wie hatte er auch nur einen Moment lang annehmen können, diese Frau sei naiv?
Ihr entging nichts. Rein gar nichts!

1 Kommentar:

  1. Das ist eine sehr gut gelungene Geschichte!
    Ich mag deine Art, wie du einen Satz formulierst, diese Detailliebe und Wortwahl... Hach... *_*
    Naja ich darf mich ja zu den wenigen Glücklichen schätzen, denen das sogar von dir vorgelesen wurde und mit deiner netten Stimme wirkt es umso mehr!
    Ganz toll, Hase. :D

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